Höret, höret alle meinen Reden zu…

Wenn in der Dunkelheit in der Nacht zum 1. Mai eine Schar junger Männer durch Scherberg zieht, dann sind das weder Hexen noch böse Geister, die nach altem Volksglauben in der Nacht zum 1. Mai ihr Unwesen treiben, sondern es sind die Scherberger Maijungen, die unterwegs sind, um an den Häusern der unverheirateten jungen Frauen das Mailied zu singen.

Der Text des Mailiedes, das im Übrigen ursprünglich nicht ein einziges, einheitliches Lied ist, sondern aus 4 verschiedenen Elementen besteht, ist für manchen, der den Scherberger Maijungen in der Nacht begegnet und ihnen beim Maisingen zuhört, manchmal nicht so einfach zu verstehen. Dies hat verschiedene Gründe. So liegt für Neu-Scherberger – zumal, wenn sie nicht aus Würselen stammen- oft das Problem darin, dass weite Teile des Mailiedes in Mundart, also Wöschelter Platt gesungen werden. Schwierigkeiten bereitet das verstehen des Textes aber auch manches liebe Mal deshalb, weil die Sangesqualität der Maijungen von Jahr zu Jahr zum Teil erheblichen Schwankungen unterliegt und die Reinheit der Sprache auch mit fortgeschrittener Stunde regelmäßig unter dem Konsum des einen oder anderen Bierchens leidet, dass traditionsgemäß während des die ganze Nacht andauernden Maisingens getrunken wird.

Ein Element, genauer gesagt das zweite Element des Mailliedes, so wie es heute mit geringfügigen Abweichungen von den Jungenspielen der Stadt Würselen gesungen wird, ist der Wechselgesang, der von den beiden Ausrufern gesungen wird und mit dem die Maipaare zusammengeführt werden. Dieses zweite Element des Mailliedes hat folgenden Text:

Höret, höret alle meinen Reden zu,
was der Maikönig euch befiehlt zu tun:
Er befiehlt nach seinem Rechte,
dat sich zwei bejene solle dooe
dat sall se, we sall dat se?
dat sall se mit Nam jenannt!
(Name des Mädchens und des Jungen)
eset üch allemoele lejjv?

Vermutlich ist dieses Element des Mailliedes, in dem bestimmt wird, wer „sich bejene soll dooe“, auf das mittelalterliche Lehnswesen zurückzuführen. Im Mittelalter bestimmte nämlich der Lehnsherr, welche seiner Lehnsleute sich „bejene dooe“, also ein Paar werden durften und ließ dies auch öffentlich verkünden. Als Beleg dafür sei auf eine mittelalterliche Verkündung eines kaiserlichen Herolds in Frankfurt verwiesen, der, als einem Beamten von seinem kaiserlichen Herrn das von ihm begehrte Mädchen zugesprochen wurde, folgendes Kund tat:

Höret zu, ihr Herren überall,
was gebeut der Kaiser und der Marschall;
was er gebeut, dass muss sein:
Hier rufe ich aus (Name des Mannes und der Frau)
Heute zum Lehen,
Morgen zur Ehen,
über ein Jahr zum Paar!

Die Ähnlichkeit des noch heute von den Scherberger bzw. Würselener Maijungen gesungenen zweiten Elements des Mailiedes mit der Verkündung des kaiserlichen Heroldes am Frankfurter Hof ist schon mehr als verblüffend. Vor allem wird hieran aber deutlich, dass die Würselener Jungenspiele und die Bräuche, die bis heute von den Würselener Jungenspielen praktiziert werden, ihren Ursprung offenkundig in unterschiedlichsten mittelalterlichen Bräuchen haben und dazu noch aus Regionen stammen, die man so ohne weiteres mit Würselen nicht unmittelbar in Bezug bringen würde. Dass so viele der Bräuche nachweislich ihren Ursprung im Mittelalter haben, lässt aber auch vermuten, dass die Würselener Jungenspiele und damit auch das Scherberger Jungenspiel, obwohl es mangels schriftlicher Überlieferung nur fragmentarische Belegstücke hierzu gibt, mit hoher Wahrscheinlichkeit ihren Ursprung ebenfalls im Mittelalter haben. Umso schöner ist es, dass diese alten Traditionen bis zum heutigen Tage erhalten geblieben sind und Grundlage für das Schönste ist, was Würselen zu bieten hat: die Würselener Jungengenspiele!