Der Maijunge

Der Maijunge

Eine nicht ganz ernstgemeinte Personenbeschreibung…

Sie sind der Ursprung und Kern des Scherberger Maibrauchtums – und das Selbstverständnis des Scherberger Maijungen sagt natürlich auch aus, dass ohne sie keine Kirmes in Scherberg gefeiert werden kann. Aber wer oder was sind diese Maijungen überhaupt? Sind es Menschen wie Sie und ich, die allesamt ein ganz normales Leben führen? Auf den ein oder anderen Maijungen könnte das in der Tat zutreffen, allerdings finden sich unter den Maijungen auch eine ganze Reihe abweichender Gesellschaftstypen wider – seien es Schüler, Studenten oder Beamte. Ich möchte Ihnen im Folgenden das
kleine Maijungen-ABC vorführen, und vielleicht können Sie am Ende dieser Textpassage sagen „Ach, SO ist das also mit den Maijungen“. Fangen wir also an mit A wie

Aussingen.

Würde das Jobcenter dem Maijungen eine Tätigkeitsbeschreibung zuteilen, wäre das Aussingen wohl DIE entscheidende Tätigkeit des Maijungen, auch wenn es nur einmal im Jahr, und zwar an jedem 30. April, stattfindet. In ritualähnlicher Form marschieren die Maijungen an diesem Abend durch das gesamte Scherberger Dorf, um alle Mädchen und Frauen, die mindestens 15 Jahre alt sind und weder verheiratet sind noch ein Kind haben, auszusingen. Dazu finden sich alle Maijungen vor der Haustüre der Dame ein und singen das Mailied. Kommt sie dann vor die Türe und begrüßt die Maijungen, meistens sogar mit Speisen oder Getränken, trinkt ein vorher bestimmter Maijunge mit ihr einen Schnaps, um das Aussingen abzuschließen. Der Maikönig lädt die Dame dann standesgemäß noch zum Maiball ein. Dieser mittlerweile modernisierte Brauch hatte früher den Zweck, für die Maijungen, die zugleich alle auch Junggesellen waren, ein passendes Mädchen zu finden, die er dann idealerweise später auch heiratet. Dank Facebook, Whatsapp und knuddels.de ist diese Form der Kontaktaufnahme zweier verschiedengeschlechtlicher Individuen jedoch hinfällig. Nach wie vor hat das Aussingen aber noch einen weiteren Zweck, und zwar wird in dieser Nacht auch das Mädchen des Maikönigs bestimmt, die dann auf dem Maiball zur Maikönigin gekrönt wird. Bestimmt in der Form, dass die handelsrechtliche Buchführung der Maijjungen über die erhaltenen Güter der Mädchen ausgewertet wird und das großzügigste Mädchen automatisch zur Maikönigin ernannt wird. Trotz der zeitfüllenden Nacht, die den Maijungen somit jährlich bevorsteht, finden
sie auch immer noch Zeit, kurz in ihrer Stammkneipe Einhalt zu finden und Kräfte aufzutanken, die im Übrigen auch Start- und Zielpunkt des Aussingens darstellt. Das Aussingen und alle weiteren Tätigkeiten der Maijungen werden von einem bestimmten Weggefährten stets und in tiefer Freundschaft begleitet. Die Rede ist von B wie

Bier.

Bier ist das Grundnahrungsmittel der Maijungen. Ohne Bier kann der Maijunge nicht überleben. Die meisten Eigenschaften und –arten der Maijungen lassen sich vor allem an den Folgen des Biergenusses festmachen. Ohne Bier würden sich die Maijungen beim Aussingen beispielsweise beinahe wie ein Knabenchor anhören. Da dies natürlich überhaupt nicht brauchtumskonform wäre, ölt der gelernte Maijunge bereits zu Beginn des Aussingens seine Stimme mit einem Startbier, um ein monotones Grunzen und Nuscheln zu gewährleisten. Da alle Menschen einzigartig sind und der Maijunge im Grunde genommen ja auch ein Mensch ist, hat das Grundnahrungsmittel auf jeden Maijungen eine andere Wirkung. So verhält sich zum Beispiel ein Maijunge, der noch kein Bier intus hat, genauso wie ein Maijunge, der erst 20 Bier intus hat. Aber vom Grundsatz her sind sich alle Maijungen einig: Ohne Bier geht nichts! Getarnt als Otto-Normalbürger der Stadt Würselen ist es zumeist schwierig, den Maijungen ausfindig zu machen. Wer aber zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist, kann den Maijungen in seinem bevorzugten Lebensraum finden, und zwar im F wie

Festzelt.

Das Festzelt zu Scherberg ist zu seinen Lebzeiten, nämlich jährlich ca. sieben Tage zur Großkirmeszeit, der wichtigste Aufenthaltsort der Maijungen. An jeden der fünf Kirmestage finden sie sich dort ein, um mit ihren Freunden und Gönnern den absoluten Höhepunkt ihres Daseins zu feiern; die Verbundenheit der Maijungen mit ihrem Festzelt reicht sogar so weit, dass sie es sich nicht nehmen lassen, einen Pfarrer zu engagieren, der am Morgen nach der letzten Kirmesnacht die Trauergemeinde anführt, um das Zelt zu begraben. Die Maijungen verbinden mit ihrem Festzelt viele schöne Erlebnisse, auch wenn sie sich an die meisten nicht erinnern können. Aber das Festzelt dient längst nicht mehr dem bloßen Zeitvertreib feierwütiger Maijungen, in den vergangenen Jahren hat sich dort auch eine Berufsfindungsgruppe zusammengeschlossen. Der Versuch eines Maijungen, den angeschlossenen Toilettenwagen zum Hotel umzufunktionieren, ist allerdings gescheitert – wahrscheinlich hat er seinen Businessplan versehentlich im Klo versenkt. Weiter geht es mit H wie

Hof.

Der Hof gilt für den Maijungen im Allgemeinen als Wirkungsstätte, weniger zum Planen, aber vielmehr zum Vorbereiten der anstehenden Kirmesfeierlichkeiten – viele Maijungen haben aber bis heute auf eben diesem Hof nicht mehr getan, als Würfel in einen Becher zu werfen und wieder aus dem Becher zu werfen. Was genau sich auf einem bestimmten Hof in Scherberg kurz vor den Kirmestagen abspielt, lesen sie unter dem Buchstaben V. Weiter geht es erstmal aber mit dem Buchstaben M wie

Maijungenversammlung.

Egal, ob neue Spielspitzen oder neue Traummaße gefunden wurden, jede bisherige Maijungenversammlung ist in ihrer Form legendär gewesen. Diese Ansicht teilen bisweilen wohl nur die Maijungen, die sich während einer Versammlung dann nicht am Kopf der Tischreihen befanden und mit drei verzweifelten Mitstreitern versucht haben, die dynamische Gruppe von Maijungen zu kontrollieren und zu leiten. Diese Dynamik, die ausbricht, sich selbst entwickelt und wieder auflöst, sorgt auf den Versammlungen immer für eine faire Teamaufteilung, und zwar immer im Verhältnis 4 zu Rest. Die Maijungenversammlungen werden stets unter Ausschluss der Öffentlichkeit abgehalten, allerdings ist es allen einfachen Dorfbewohnern gestattet, gegen einen kleinen Obolus in Form eines gefüllten Bierstiefels vor die Versammlung zu treten und sein Anliegen zu äußern. Ansonsten dreht sich alles, sobald die Wirtin die Tür aufmacht und neue Bestellungen entgegennimmt, nur noch um das schöne Wetter. Auch jedes Ende einer Maijungenversammlung hat eine Tradition, und zwar werden dann die Türen weit aufgezogen, um dem Rest der Wirtschaft in gewohnter Manier das Mailied vorzuheulen. Damit die Maijungen nicht orientierungslos durch die Gegend wüten, gibt es ein besonderes Gremium von vier Personen, das am Kopf der Maijungenrunde sitzt und steht, je nach dem, ob man gerade auf einer Versammlung oder auf einem Umzug sitzt. Dieses Gremium ist besser bekannt als S wie

Spielspitze.

Die Spielspitze setzt sich aus dem Maikönig und seinem Maiknecht sowie dem Pritschenmeister und dem ersten Pritschenjungen zusammen. Während der Maikönig und der Maiknecht bei den Umzügen die Maipaare anführen, bilden der Pritschenmeister und der erste Pritschenjunge zusammen mit den Pritschenkindern die Zugspitze des Scherberger Festumzuges. Durch diese Marschreihenfolge wird der Pritschenmeister, weil er von allen Festumzugsteilnehmern ganz vorne marschiert, auch gerne mal als Chef des Spiels bezeichnet. Dem Maikönig hingegen wird als monarchisches Oberhaupt die Ehre zuteil, seine Untertanen bei öffentlichen Auftritten im Ausland repräsentativ vorzustellen. Diese repräsentative Stellung im Scherberger Machtgefüge ist jedoch nicht mit der Stellung unseres deutschen Bundespräsidenten zu verwechseln, es ist auch noch kein Fall von Amtsmissbrauch oder Zitatfehlern unter den bisherigen Maikönigen bekannt. Das alles hat während einer Maijungenversammlung jedoch nichts zu sagen, denn dort haben alle vier üblicherweise nichts zu melden; wenn der Ältestenrat, der sich dadurch zu erkennen gibt, dass er am anderen Ende des Versammlungsraumes und damit möglichst weit weg von der Spielspitze sitzt, gut gelaunt ist, lässt er den Maikönig und seine Mitstreiter auch ab und zu mal zu Wort kommen. Viel bedeutender für die Maijungen ist aber die Tatsache, dass zumindest drei von vier Spielspitzenmitgliedern regelmäßig aus reiner Großzügigkeit und Nächstenliebe während der Umzüge Haus und Hof (Achtung: Nicht Hof im o.g. Sinn gemeint) zur Verfügung stellen und die komplette Festumzugsteilnehmer mit Getränken versorgen. Letzter Punkt dieses kleinen Maijungen-ABC bildet der Buchstabe V wie

Vorbereitungswoche.

Jedes Großereignis muss irgendwo auch geplant und vorbereitet werden, und wenn die Spielspitze es geschafft haben sollte, einen theoretischen Plan aufzustellen, wie eine Kirmes vorzubereiten ist, beginnt am Montag vor Kirmes die Zeit, diesen auch umzusetzen. Dazu trifft man sich bis zur Thekeneröffnung im Zelt jeden Tag, um Wimpelschwünge aufzuhängen, Tannenschwünge zu binden, den Hof zu verwüsten und am Ende der Vorbereitungswoche wieder aufzuräumen – aber vor allem: um zu würfeln. Ziel des s.g. „Meierns“ ist es, die Runde zu überstehen, ohne am Ende der Verlierer zu sein und den restlichen Mitspielern ein Bier auszugeben. Geübte Würfler schaffen es locker, die ganze Woche über auf der Bierbank zu sitzen und zu würfeln, ohne je etwas anderes gemacht zu haben. Disziplinarische Maßnahmen seitens der Spielspitze konnten meist nicht durchgesetzt werden, weil diese ja dann ohne Mitspieler würfeln würde. Zum Abschluss eines jeden Tages verlässt man dann den Hof, der im Übrigen immer von einem großzügigen Dorfbewohner zur Verfügung gestellt wird, und bringt einen fertig gebundenen Tannenschwung zu seinem Besitzer – dort bespricht man dann in Gesellschaft des Grundnahrungsmittels das weitere Vorgehen der übrigen Woche. Ist der Plan der Spielspitze aufgegangen, sind am letzten Tag der Vorbereitungswoche die Hälfte aller Aufgaben erledigt, der Rest wird dann von den Maijungen durchgeführt, die an den ersten vier Tagen keine Zeit hatten, auf den Hof zu kommen, weil sie entweder in der Schule, in der Uni oder im Kreissaal bei ihrer Katze sind. Ist der Plan nicht aufgegangen, dann kann die Kirmes eigentlich auch ausfallen, denn Sie glauben ja wohl nicht im Ernst, dass irgendwo in Scherberg ein Festumzug marschiert, wenn in der Paulinenstr. nicht alle Wimpelschwünge hängen oder die Buschgasse nicht beleuchtet ist.

Ich hoffe, Ihnen den handelsüblichen Maijungen ein bisschen verständlicher gemacht zu haben, sollte Ihnen in Zukunft solch ein Geschöpf über den Weg laufen, scheuen Sie sich nicht, den kleinen Kerl zu begrüßen und mit der Hand über den Kopf zu streicheln, denn eins ist sicher:

Maijungen, die trinken, beißen nicht!

Mit freundlichen Grüßen
Ein Maijunge aus Scherberg

PS: Dies ist eine subjektive Darstellung eines aktiven Maijungen, die Richtigkeit der o.g. Fakten sowie der gesamten Rechtschreibung ist ohne Gewähr. Ebenfalls ist nicht auszuschließen, dass dieser Artikel unter Einfluss des Grundnahrungsmittels entstanden ist.

Daniel Bura